Texts
Der flüchtige Moment inszenierter Privatheit (Katalogtext Ateliereinblicke 2017, EnBW Karlsruhe)
Chris Gerbing
Julia Schmalzl arbeitet in Serien, mit kräftigen Farben, sicherem Pinselschwung, erkennbaren Motiven. Sie zeigt Menschen beim Selfie: beim Niesen, ruhelos beim Warten oder beim Texten auf dem Smart Phone. Ihre Gemälde erzählen aber auch von narzisstischer Spiegelung oder vom Geschlechtsakt. Trotz dieser alltäglichen öffentlichen und graduell unterschiedlich privaten Handlungen bleiben ihre Dargestellten dem Betrachter fremd, scheinen sich aufzulösen im Akkord der Farben, stehen damit pars pro toto für eine schnelle, laute, unpersönliche Gegenwart, bei der das Private öffentlich, die Wirkung des Einzelnen über die Sozialen Medien weltweit nachprüfbar wird, die Schranken der Scham im Internet längst gefallen sind. Julia Schmalzls Anliegen ist die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, ihrer Umgebung und dem Alltag, mit Jugend- und Subkultur, den Sozialen Netzwerken und der „Share Gesellschaft“[1], die (fast) keine Intimität mehr kennt. Sie geht dabei häufig von ihrem eigenen Körper aus und verwendet für ihre künstlerische Aussage das klassische Medium der Malerei. Dabei ist ihre Vorgehensweise direkt und spontan, nicht nur, weil sie ihre Motive aus dem Alltag, ihrer Umgebung und den auf sie einwirkenden Eindrücken entnimmt, sondern auch, weil sie auf eine Vorzeichnung verzichtet, vielmehr das Kunstwerk auf der Leinwand entsteht und sich entsprechend im Entstehungsprozess wandelt.
Diese Spontanität lässt sich beispielsweise in ihrer Serie „Niesen“ ablesen, bei dem der zugehörige Reflex dazu führt, dass der oder die Niesende für einen kurzen Moment aus der ihm oder ihr eigenen Rolle heraustritt, die Gesichtszüge sich im Augenblick vor dem Niesen zunächst anspannen, um sich dann mit dem mehr oder minder herzhaften Nieser reflexhaft zu entspannen. Was innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde geschieht, die möglichen, durchaus auch peinlichen Auswirkungen des Niesens, das reflexhafte Schließen der Augen (die man gern nach geschehener Peinlichkeit gleich wieder schließen möchte) – all diese zutiefst menschlichen Regungen gibt Julia Schmalzl in einer Art expressiver Simultandarstellung wieder, bei der die mit dem Niesen einhergehenden, ruckhaften Bewegungen zu einer körperlichen Unschärfe führen, aus der sich wiederum allgemeine Einsichten zu einem menschlichen Bedürfnis ablesen lassen. Dagegen friert Julia Schmalzl in den beiden Gemälden, die sie – fast möchte man sagen: unschuldig-naiv – mit „Ohne Titel (Sleeping)“ bzw. „Ohne Titel (Sleeping 2)“ betitelt, den Geschlechtsakt ein. Einzig der wahre Farbrausch, in dem sie die beiden anonymen Nackten aufeinanderliegend zeigt, verdeutlichen die Urgewalt des Geschlechtsakts, die zur Klimax hin zunehmende Geschwindigkeit, der Rausch der Vereinigung mit einem anderen Menschen. Dieses verschmelzende Element betont sie insbesondere in „Ohne Titel (Sleeping 2)“, indem die beiden Liebenden Teil des in Farbflächen zerteilten Malgrunds werden, bei dem Julia Schmalzl auf eine Einteilung in Vorder- und Hintergrund verzichtet.
Folgt man der Theorie Niklas Luhmanns, der die Funktion der Kunst darin sieht, durch die Verdoppelung der Realität in eine reale und eine fiktive Möglichkeitsspielräume aufzuzeigen,[2] ergibt sich daraus die Frage, wie Realität vom System konstruiert wird, innerhalb dessen sie entstanden ist. Julia Schmalzls malerische Antwort scheint darauf innerhalb einer anonymisierte Mediengesellschaft zu lauten: im Moment einer inszenierten Privatheit. Grundlage ihrer Kunstwerke sind Fotografien, die sie „auf Codierungen untersucht und […] malerisch neu inszeniert.“[3] Dabei entstehen komplexe Bilder, die als analoge Übersetzung virtueller Räume gelesen werden können, in denen es insbesondere um Bewegung, um Zustände geht, die sich eigentlich der Malbarkeit entziehen, in denen Julia Schmalzl Empfindungen mit teils voyeuristischem Blick in Stereotype unserer Zeit übersetzt.
[1] Frommer, Heike A.: (Un-)Sachlich! Jung + Gegenständlich, in: Ausst.kat. Galerie Bodenseekreis Meersburg 2014. Kulturamt Bodenseekreis (Hrsg.): (Un-)Sachlich! Jung + Gegenständlich. Förderpreis für gegenständliche Kunst des Bodenseekreises. Dresden 2014, S. 7.
[2] Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Opladen 1995, S. 19.
[3] Julia Schmalzl: Artist Statement 2017 (unpubl.).